Shanghai nach Xi’an
Der Startschuss meiner Etappe 12 fällt in der 25 Millionen Einwohner Stadt Shanghai am Ostchinesischen Meer. Genauer gesagt beim «Bund Bull». Dieser Bulle aus Bronze wiegt stolze 2.5 Tonnen und gilt als Symbol für Stärke, Mut und Wachstum. Er wirkt energiegeladen und entschlossen und genau diese Dynamik nehme ich mit auf meine Reise. Die Strecke führt mich über rund 1500 Kilometer quer durch das östliche und zentrale China, durch moderne Grossstädte, historische Orte und ländliche Regionen bis ins Herz Chinas zur antiken Seidenstadt XIAN, wo meine allererste Etappe im Jahr 2018 losging.
Die ersten rund 80 Kilometer hinaus aus der Mega-Metropole bin ich umgeben von Häuser, Häuser, Häuser – links wie rechts der Strasse und ohne Unterbruch. Selbst wenn ich dachte, ich hätte nun das Stadtgebiet hinter mir gelassen, warten schon die nächsten Wohnblöcke, Industrieanlagen oder Neubauviertel. Was mich besonders erstaunt ist die Stille. Fast alle Autos und Motorräder sind elektrisch und kaum ein Motorengeräusch ist zu hören. Noch beeindruckender ist die Disziplin auf den Strassen. Der Verkehr fliesst geordnet, flüssig, keine Hektik, kein Drängeln selbst im dichten Stadtverkehr bleibt alles ruhig und strukturiert.
Kurz vor der Industriestad Changzhou ist es etwas vorbei mit der Idylle. Zum einen ziehen starke Regenfälle auf und dazu fahre ich trotz der Pannenschutzreifen einen Platten (natürlich hinten) ein. Nach einer ersten Reparatur und Schlauchwechsel, schaffe ich es bis ins Hotel. Dort ist die Luft dann erneut draussen…irgendwie hat sich eine Scherbe im Reifen verschanzt und ich muss am nächsten Tag zu einem Fahrradgeschäft, wo ich auch gerade das Felgenband ersetzen lassen kann. Klar sind so Defekte nicht wirklich erwünscht und die Reparatur kostet Zeit (ein geeigneter Velo Shop findet sich in der Regel nicht um die Hausecke…und diesmal musste ich mit dem Taxi 20 Kilometer bis ins Stadtzentrum rein). Hauptsache man kann neues Material bekommen und wenn auch mit Verspätung…jetzt läuft wieder alles rund.
Hier in Yangzhou bleibt mir der Atem stecken…. Sobald die Sonne untergeht, verwandelt sich die Stadt in ein leuchtendes Kunstwerk. Strassenlaternen spiegeln sich symmetrisch im Wasser und beleuchtete Brücken führen wie Lichtkorridore durch die Dunkelheit. Der Kontrast zwischen Natur und moderner Lichtarchitektur ist besonders eindrucksvoll und die nächtliche Atmosphäre wirkt einfach magisch und crazy auf mich.
In den nächsten Tagen wird es unheimlich heiss. Ich versuche wo möglich im Schatten zu fahren und radle dabei sogar kilometerweit auf der falschen Seite. Natürlich nehme ich auch viel Flüssigkeit zu mir. Im Hotelzimmer funktioniert die Klimaanlage nicht. Im Zimmer glüht es vor Hitze. Heute Morgen, ist mir so richtig schwindlig und alles dreht sich um mich herum. Ich gehe von einer Dehydration aus, bleibe vorerst im Bett, trinke fleissig und kann mich bis mittags einigermassen wieder erholen. Da es heute stark bewölkt ist, wage ich mich auf die Weiterfahrt und schaffe das Tagesziel noch kurz vor dem Regen.
Nach der extremen Hitze folgt jetzt für die nächsten drei Tage sehr starker, strömender Regen. Mit der «Bund Bullen Kraft» ziehe ich das durch. Allerdings macht mir die Schaltung zu schaffen. Die Elektronik ist ausgestiegen. und ich fahre nun alles im selben Gang. Abends finde ich kein Fahrradgeschäft, wo man mir weiterhelfen kann. Das überrascht mich, denn eine Shimano Schaltung ist doch mindestens teilweise Made in CHINA und ein Ersatz so dachte ich, müsste kein Problem sein. Aber ich werde von Fahrradhändler zu Fahrradhändler geschickt und mit Einbruch der Dunkelheit, gebe ich die Suche auf. Nun habe ich die Hoffnung, dass mir mein top Mechaniker aus Biel mit seinem Wissen via WhatsApp weiterhelfen kann. Ich habe voll Glück. Obwohl er mitten in seinen Ferien steckt, hilft mir WALE weiter. Dank seinen Instruktionen klappt es nun mit ein paar Gängen auf der grossen Scheibe. Ich werde dann in drei Tagen in der 15 Millionen Stadt in Zhangzhou nochmals auf die Jagd nach einem geeigneten Fahrradshop.
Gesagt, getan: Doch auch hier bleibe ich erfolglos. So fahre ich nun die restlichen 500 Kilometer weiterhin mit stark eingeschränkter Schaltung.
Und nun melden sich wieder Platte Reifen. Am heutigen Tag bin ich gerade zweimal in einen Draht gefahren und da nützt der Pannenschutz offensichtlich wenig. Das kann einem schon verleiden, diese ständigen Defekte…Immerhin finde ich im Ort wieder neues Material.
Das Endziel meiner Tour de CHINA ist jetzt Tatsache. Ich erreiche die Hauptstadt der alten Tang-Dynastie, Heimat der weltberühmten Terrakotta-Armee und ein Ort von enormer historischer Bedeutung. Die für mich triumphale Einfahrt nach XIAN erfolgt durch das OST TOR. Damit habe ich nun ganz CHINA von Ost nach West durchquert. Was ich hier jetzt noch machen will, ist die Fahrt – natürlich mit meinem Velo- auf der rechteckigen rund 14 Kilometer langen und 14 Meter breiten Stadtmauer. Doch wie schon anno 2018 gibt es keine Möglichkeit die Stadtmauer mit dem privaten Fahrrad zu befahren. Also spule ich die Ehrenrunde auf dem gemieteten Stahlesel ab. Anschliessend habe ich noch ein paar Tage Zeit um die grandiose Metropole als Tourist weiter zu erkunden.
Die Rückreise beginnt aufregend. Es regnet in Strömen und mein Taxidienst kommt verspätet. Leider bringt der Fahrer den Velokarton nicht in seinen kleinen Wagen. Bestellt habe ich eine grosse Limousine, aber das hilft jetzt nicht. Dank meiner Zeitreserve komme ich noch rechtzeitig am Flughafen an. Hier wartet die nächste Hürde. Angeblich ist meine Fahrradbox zu gross. Es ist doch sehr überraschend, weil ich in der Vergangenheit bei anderen Fluggesellschaften definitiv schon voluminösere Kartons aufgegeben habe. Die Norm für Hongkong, wo mein Gepäck umgeladen wird, sei übertroffen und der Transport wird abgelehnt. Ich beginne zu schwitzen, versuche eine Lösung zu finden. Das Hin- und Her macht mich nervös. Hinten warten die Leute und vorne komme ich nicht weiter. Schlussendlich kann ich mich mit dem Bodenpersonal darauf einigen, den Karton zu verschneiden und daraus zwei Gepäckstücke zu machen. Sie helfen mir fleissig beim Umpacken und endlich kann alles abgefertigt werden Fazit: I never lose, either I win or I learn (in aller Regel lerne ich).